Seit gut einem Jahr trägt die Realschule Herrsching das Profil Inklusion und versucht, es Schülern mit Besonderheiten zu ermöglichen, sich im regulären Schulbetrieb wohlzufühlen und lernen zu können. Dazu hat die Schule zwei Inklusionsbeauftragte, Marion Mäck Tatz und Jenni von Dalwigk und ein Team an Lehrkräften, welche sich um Maßnahmen wie Ruhezonen, Schulbegleiter und Zeitzuschläge kümmern.

Viele der Inklusionsschüler an der Realschule gehören dem Autismusspektrum an. Um über ihre Besonderheiten mehr zu erfahren, erhielt das Lehrerkollegium am Buß- und Bettag Besuch von Julian Leske, der selbst Autist ist. Seine Diagnose erhielt er erst mit 16 Jahren, vorher wurden ihm sehr viele unterschiedliche Behinderungen und Krankheitsbilder zugeschrieben. Die Diagnose ASS (Autismus-Spektrum-Störung) half ihm selbst, weil diese eine Diagnose alle seine Besonderheiten, etwa auch seine Gehbehinderung erfasste und erklärte.

Gleich zu Beginn seines höchst informativen, persönlichen und humorvollen Vortrags betonte er: „If you know one person with autism, you know one person with autism“ (Dr. Stephan Shore), dass jeder Autist anders ist. Dennoch versuchte er anhand seines Lebensweges, seiner Schulkarriere und seiner Interessen Einblicke in das Leben eines Autisten zu geben und Lehrkräfte zu ermutigen, Strategien, die bei einem Kind im Spektrum funktioniert haben, durchaus auch bei anderen Autisten zu versuchen.

Julian Leske, der nach eigener Aussage von Diskalkulie betroffen ist, beeindruckte bei seinem Vortrag durch herausragende Rhetorik und machte anhand vieler Beispiele deutlich, wie anstrengend sein Leben an vielen Stellen ist. Da er mit Spontaneität nicht gut umgehen kann, bereitet er sich zum Beispiel auf wichtige Treffen vor, indem er versucht, alles im Internet über die Personen herauszufinden, die er treffen wird. Da dies höchst zeitintensiv ist, schafft Julian Leske dies nur für rund 10 Prozent seiner Begegnungen.

Er liebt extreme Techno-Musik, diese beruhigt ihn, da er etwas mit schnellen Beats braucht, um zu den vielen Gedanken in seinem Kopf einen Gegenpol zu setzen. Wenn er diese Musik auf Zugfahrten hört, ist er im Tunnel und es kommt zu Wohlfühlmomenten, in denen er gerne mit dem Oberkörper wippt. „Das ist mir mittlerweile auch nicht mehr peinlich“, so Leske, „andere machen ganz andere Dinge in Zügen.“

Um überhaupt einen guten Tag zu haben, schreibt er lange To-Do-Listen.

Nach einer Schullaufbahn, die nicht immer einfach war, bei der er aber nie Mobbing und nur einmal einen nicht tragbaren Lehrer erlebte, machte Julian Leske eine Ausbildung zum Verwaltungsbeamten. Er arbeitet im Verkehrsministerium in Bonn und ist dort Mitarbeiter des Inklusionsbeauftragten. Da er es liebt, an neuen Herausforderungen zu wachsen, schätzt er diese Aufgabe sehr, denn sie erfordert maximales Einfühlungsvermögen und damit hat er Schwierigkeiten. Sein Chef ist Jurist und mit dieser Personengruppe kommt er ebenso wie mit Hochbegabten und anderen Autisten am besten aus, da sie wie er sehr rational denken.

Für die Schule wünscht Julian Leske sich manchmal mehr Pragmatismus im Umgang mit behinderten Kindern.

Seine Vorträge hält er auch an Universitäten und für Kinder in seiner Freizeit. Er bereitet sich dabei sehr akribisch vor und stellt sich auf sein Gegenüber ein. Da er rhetorisch begabt ist, passt er sich sprachlich zum Beispiel immer seinem Publikum an.

Er selbst würde seinen Autismus nicht mehr missen wollen. Trotz aller Probleme, die die Störung mit sich bringt, überwiegen für ihn die Vorteile und er hat sich fest vorgenommen, sehr alt zu werden, um das Ende seiner Entwicklungsverzögerung zu erleben.

Das Lehrerkollegium und die Elternbeirätinnen, die dem Vortrag lauschen durften, stellten fest, wie schnell zwei Stunden vorbei gehen können. Die RSH bedankt sich für die Einblicke bei Julian Leske.

A. Pfister